Immer mehr Menschen arbeiten jetzt im Homeoffice, einige zum ersten Mal. Die fehlende Struktur kann unsere Produktivität beeinträchtigen – ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit.
Das unabhängige Arbeiten mit flexiblen Arbeitszeiten ohne Kontrolle kann zu Zweifeln, Sorgen, Aufschieben der Arbeit und in Extremfällen auch zu erlernter Hilflosigkeit führen. Das ist allzu natürlich: Wir sind evolutionsbiologisch darauf gepolt, Ablenkungen zu bemerken und über Worst-Case-Szenarien nachzudenken. Aber wenn die Struktur fehlt, kann dieser Urinstinkt, der uns in der Steinzeit vor Gefahr schützte, unser Wohlbefinden beeinträchtigen, weil es uns schwerfällt, uns auf die anstehenden Aufgaben zu konzentrieren.
Untersuchungen zur Resilienz zeigen, dass ein routinierter Tagesablauf sehr wichtig ist, insbesondere in Zeiten des Wandels. Die Eltern unter Ihnen wissen, dass Kinder einen festen Tagesablauf brauchen, denn das gibt ihnen Halt und Orientierung. In unserer Familie nutzen wir Whiteboards als visuelle Erinnerung, um uns an die Aufgaben und Termine zu erinnern, die wir morgens besprochen haben.
Das hat mehrere Vorteile: Es muss nicht mehr mühsam entschieden werden, womit man beginnt oder was als Nächstes getan werden muss. Die Regelmäßigkeit, in der Routineaufgaben durchgeführt werden, vermittelt ein beruhigendes Gefühl der Kontrolle und kann unerwünschtes Grübeln in Schach halten. Und für mich persönlich verleihen Routinen meinem Arbeitsablauf den notwendigen Rhythmus, damit ich vom Aufstehen am Morgen bis zum Feierabend in der Spur bleibe und alles Notwendige erledigen kann, um dann abends wieder Pläne für den nächsten Tag zu schmieden.
William H. McRaven, ehemaliger Admiral der United States Navy, kennt sich mit Routinen und Selbstdisziplin aus, denn er hat 34 Jahre als Navy Seal gedient. Sein Tipp lautet: „Mach dein Bett , dann kannst du auch die Welt verändern – oder zumindest gut in den Tag starten.“ Ich habe das in meinem Leben beherzigt und festgestellt, dass diese kleine Routine wirklich eine enorme positive Wirkung haben kann.
Indem ich mein Bett mache, habe ich bereits die erste Aufgabe des Tages erledigt. Danach kann ich noch eine Aufgabe erledigen. Und noch eine und noch eine. So kann aus vielen kleinen Schritten ein großer Erfolg werden. Tatsächlich haben einige der erfolgreichsten Menschen der Vergangenheit und Gegenwart – etwa Steve Jobs, Ernest Hemingway, Elon Musk – alle etwas gemeinsam: das frühe Aufstehen, immer zur selben Zeit, um produktiver und erfolgreicher zu sein.
Der ein oder andere mag denken, dass diese täglichen Standardroutinen – frühstücken, duschen und sich ankleiden – nicht so wichtig sind, wenn wir von zu Hause aus arbeiten. Aber vielleicht sind diese Rituale im Homeoffice sogar noch wichtiger. Denn durch diese Morgenroutinen bekommen wir einen Produktivitätsschub und können den ganzen Tag den Fokus auf die anstehenden Aufgaben richten. Und wenn wir uns konsequent daran halten, wird es immer einfacher, eine Gewohnheit daraus zu machen.
Noch nicht ganz überzeugt? Natürlich lässt sich nicht alles perfekt planen. Aber in seiner BBC-Serie „Survival – Kampf ums Überleben“ hat der britische Survivaltrainer Ray Mears gezeigt, dass man sich auf das Wesentliche konzentrieren muss, um in neuen und sogar extremen Umgebungen zu überleben. Selbstverständlich ist die Wildnis weitaus gefährlicher als unser eigenes Heim, aber das Grundprinzip ist dasselbe. Wenn unser Leben keine erkennbare Struktur mehr hat, weil mit der Arbeit zum Büro der Arbeits- und Heimweg, das straffe Tagesprogramm und soziale Interaktionen wegfallen, sind Disziplin und Selbstmotivation entscheidend.
Wenn Sie eine grundlegende Routine für Ihre wichtigsten Aktivitäten etablieren, können Sie Ihre geistige Präsenz wahren und verhindern, in einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit zu verfallen. So können Sie sicherstellen, dass die wichtigsten Aufgaben erledigt werden, aber auch noch Zeit bleibt, um mehr zu lernen und sich noch besser auf die neue Situation einzustellen.
Natürlich ist die strikte Einhaltung von Routinen leichter gesagt als getan. Aber einige einfache technische Tricks können sich dabei als sehr hilfreich erweisen. Der rational-bewusste Teil unseres Gehirns ist nicht für Multitasking geschaffen und kann sich nur auf eine Handvoll Aufgaben gleichzeitig konzentrieren. Daher kann es sinnvoll sein, einen Teil der intellektuellen Aufgaben outzusourcen, wenn möglich. Ich persönlich verlasse mich auf Smartphone-Timer und Sprachassistenten, die mich zu festgelegten Zeiten durch meinen Arbeitsalltag lotsen. Sehr praktisch ist auch mein Dokumentenscanner auf dem Schreibtisch, mit dem ich ganz schnell und effizient den anfallenden Papierkram erledigen kann. Weil ich Quittungen, Belege, Rechnungen, Notizen und dergleichen regelmäßig schnell und einfach digitalisieren kann, ist mein Schreibtisch immer aufgeräumt, sodass ich nicht von herumliegenden Dokumenten abgelenkt werde und klare Gedanken fassen kann. Und außerdem hat das noch einen Vorteil: Je mehr wir automatisieren, desto weniger müssen wir selbst erledigen.
Für mich haben sich feste Routinen bewährt. Ich mache nicht nur täglich Fortschritte, sondern habe auch ein Gefühl von Kontrolle, sodass Zweifel und Grübeleien, mit denen viele, die allein im Homeoffice arbeiten, oft zu kämpfen haben, gar nicht erst aufkommen. Letzten Endes ist das Arbeiten von zu Hause aus einfach nur eine Lernerfahrung wie jede andere. Daher noch ein Rat von mir für das Überleben im Homeoffice: Neben den wichtigen Routinen brauchen Sie auch Sinn für Humor. Denn regelmäßiges Lachen vertreibt Trübsal!